|
|
In einem Berg, an dunkelster Stelle, lag einst ein kleiner Stein. Von tiefster Finsternis umfangen, fühlte er sich so allein.
Eines Tages hörte er von den Steinen, die ganz oben liegen, wie Nacht und Tag, Licht und Schatten über ewige Finsternis siegen.
Er hörte von Bäumen, von Flüssen, von Regen und Wind, kaum vorstellbar, wie solche Dinge sind.
So lag er da unten, verlassen, allein. Der kleine, liebe dunkle Stein.
„Was für Sachen sind das, die da geschehn? Wie kann ich jeh das mal sehn?“
Zehntausend Jahre er sich fragte. Nie zu müde, er sich plagte.
„Irgendwie muss es gehn. Ich will den Himmel einmal sehn.“
Und auf einmal hatte er die Idee, die Lösung aller Fragen. So einfach und auch so genial, die Antwort – sozusagen.
„Wenn ich nun,“ überlegte der Stein, „mich als Teil des Berges seh, ich zugleich auch der Gipfel bin, des Berges schwindlige Höh.“
O.k., ich muss mein Steinsein aufgeben, doch nur so seh ich das Licht. Als Berg, als Ganzes, als die Natur. Als Stein begreif ich es nicht.
Und so tat der Stein und eh er sich versah, war er der Berg, wie wunderbar.
Und er sah die Tage und die Nächte vergehn, sah die Bäume auf seinem Gipfel stehn, sah den Regen, das Eis, sah die Sonnenstrahlen, sah im Frühling die Blumen mit ihren Farben prahlen.
Und er dachte leise daran zurück, dass ohne das Steinsein er hätte nicht solch ein Glück.
(Harald Manzei)
|